Das ISBB hat identitätsstiftende Wurzeln in der deutschen Bürgerrechtsbewegung körperbehinderter Menschen in den 1970er und 1980er Jahren. Damals gab es starke Verbindungen mit der zehn Jahre älteren US-amerikanischen „Independent Living Bewegung“, die auf eine kleine Gruppe behinderter Studenten an der Universität in Berkeley/Kalifornien zurückging. Aus dieser prägenden Kommunikation heraus kam der Begriff „Empowerment“ in die deutsche Behindertenbewegung.
Zunächst meinte Empowerment dabei die Selbstermächtigung, die Körperbehinderte, inspiriert durch die deutsche Studentenrebellion Ende der 1960er Jahre, sich geschaffen haben. Sie verließen durch einen emanzipatorischen Prozess der demonstrierten Undankbarkeit (Krüppelbewegung) das Image des „Musterkrüppelchens“ (dankbar, lieb, leicht zu verwalten).
In den folgenden Jahrzehnten etablierten sich Selbsthilfe- und Beratungszentren in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern, oft „Zentren für selbstbestimmtes Leben“ genannt. Das ISBB in Trebel ist eine Konsequenz dieses Prozesses. Hier im ISBB wurde eines der letzten Tabus (auch innerhalb der Bewegung) Motivation für eine spezialisierte Beratungsstelle: Sexualität. Dem Beratungsbedarf folgend wurden später die Lebenssituation geistig behinderter Menschen zum Schwerpunkt und der Bedarf der pädagogischen Fachkräfte an Beratung.
Aus den eigenen Empowerment-Erfahrungen entstand ein Anleitungskonzept für den Alltag der Sozialen Arbeit: Empoweragogik.
Diese Wortneuschöpfung beschreibt im Begriff schon eine Spannung. Die Macht des Erziehenden dem Zögling gegenüber scheint dem Bemächtigungsprozess des Erzogenen antagonistisch. Empoweragogik als Fremdbestimmung zur Selbstbestimmung ist nicht existenzfähig, als Bemächtigung zur Selbstbestimmung leben wir sie im ISBB und werben für sie.
Gemäß einiger Auffassungen innerhalb der bisherigen pädagogischen Diskussion kann sich Empowerment nur entfalten, wenn die Protagonisten über notwendige kognitive Fähigkeiten und Reflektionsbegabung verfügen. Das schließt geistige Behinderung in weitreichender Ausprägung von Empowermenterfolgen aus. Spielt dann sogar Utilitaristen wie dem Australier Peter Singer in die Hände, die den so betroffenen behinderten Menschen Menschsein absprechen. Eine Vorbedingung für Euthanasieprogramme.
Bei einer wohlwollenden agogischen Einstellung ist für einen Empowermentprozess nicht einmal die geringste Reflektionsfähigkeit des behinderten Menschen notwendig. Es reicht, dass er lebt. Denn dann verhält er sich. Auch wenn die Bedeutungen innerhalb seines Wahrnehmungsprozesses jeden Konsens ablehnen, verhält er sich. Wenn er atmet, handelt er. Er kann nicht nichts tun. In jedem Verhalten liegt ein Vorher und Nachher und damit eine Geschichte und jede Geschichte hat einen Sinn: Letztlich das Bemühen, sich selbst zu erhalten, in Wohlergehen. Jeder Mensch, der wahrgenommen wird, hat schon durch seine bloße Existenz eine Beziehung miterschaffen. Der Wahrnehmende kann den Sinn der Lebensgeschichte des Wahrgenommenen erkennen, die Logik der Lebensgeschichte und kann ihr zur selbstverständlichen Verwirklichung verhelfen. Schon im Akt der bewussten Wahrnehmung liegt Empowerment. Dem Wahrgenommenen ist die Macht gegeben worden, Beziehung aufzubauen.
In der Mehrzahl der sozialen Begegnungen treffen Agogen zum Glück aber auf Menschen, deren Auftrag sie sich nicht erschließen müssen. Menschen, die auch aktiv differenzierte Beziehungen aufbauen können, die über eine Vielzahl von Kreationen Bindung schaffen.
Empoweragogik ist Menschen problemlos denkbar, die sich einen systemischen Ansatz zu eigen gemacht haben. Sie werden im ISBB ausgebildet, sich auch von Menschen mit kognitiven Einschränkungen und Besonderheiten emotional binden zu lassen. Sie erhalten dann von den behinderten Menschen deren Sicherheitsmanagement delegiert.
Bindungsfähigkeit ist eine Ressource, sich eine als zu kompliziert wahrgenommene Umwelt durch Delegation beherrschbar zu machen. Sie dient dem Sicherheitsinteresse der menschlichen Seele. Sie engagiert Scouts, denen Leitungsbefugnis zugestanden wird. In diesem Sinne ist Empoweragogik Erziehung. Sie ist in einigen Situationen selbstbestimmte Fremdbestimmung. Das setzt Vertrauen voraus.
Empoweragogen benötigen
- eine hohe ethische Verfasstheit,
- die Fähigkeit zur Selbstkontrolle,
- die Freiheit, sich zielfremden Aufträgen widersetzen zu können,
- das Wissen um den Zusammenhang individueller Wünsche mit Bewertungen der sie umgebenden Kultur.
Empowerment meint die Ausweitung von Selbstverfügungskräften, Empowerment beschränkt nicht die individuellen Methoden dazu. Empowerment meint das Erlangen gleichberechtigter Zugänge zu sozialkulturellen Errungenschaften. Diese Gleichberechtigung muss nicht selber und nicht allein erkämpft werden. Empowerment setzt einen Prozess der Selbsterkenntnis und ein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten voraus. Beides muss nicht bewusst geschehen. Wohlbefinden, als eine Begleiterscheinung dieser Prozesse, wird bei allen Menschen nonverbal kommuniziert.
Alles andere ist Wortkosmetik. Unsere Kommunikationspartner denken: "Behinderte", also sollen sie's doch auch sagen können. Sonst entsteht der Stress, den wir täglich beobachten: Man darf uns kein Leid zufügen, weil wir ja sowieso leiden. Man darf auch kein Wort benutzen, dass uns an unsere soziale Rolle erinnern könnte. Solange wir als Behinderte diese Rolle inne haben, sollten wir nicht auszuweichen versuchen.
Wenn Inklusion eines fernen Tages dann gelungen ist, dann brauchen wir das Attribut "behinderter" Mensch auch nicht mehr.